«Die Schweiz hatte immer Interesse an Stabilität, Sicherheit und Frieden»
Seit dem 1. Oktober 2022 hat die Schweiz im UNO-Sicherheitsrat einen Beobachterstatus. Was bedeutet das und wie laufen die Vorbereitungsarbeiten für den Einsitz der Schweiz in den nächsten zwei Jahren als nichtständiges Mitglied im Rat? Dies erklärt Botschafter Thomas Gürber, der neue Chef der Abteilung UNO des EDA, im Interview.
Am 9. Juni 2022 hat die UNO-Generalversammlung die Schweiz mit 187 Stimmen als nichtständiges Mitglied in den Jahren 2023-2024 in den UNO-Sicherheitsrat gewählt. Das Resultat ist ein Beweis des Vertrauens der internationalen Gemeinschaft gegenüber der Schweiz.
Herr Gürber, wie möchte die Schweiz diesem Vertrauen im UNO-Sicherheitsrat gerecht werden?
Wir schätzen das Vertrauen, das in uns gesetzt wurde, sehr. Und wir werden alles in unserer Macht Stehende dafür tun, ihm gerecht zu werden. Gleichzeitig haben wir auch Respekt vor der bevorstehenden Aufgabe, sind wir doch alle mit grossen, gleichzeitig laufenden Krisen konfrontiert: Die Folgen von Covid-19, der Krieg in der Ukraine, oder Nahrungsmittel- und Energieengpässe. Sie fordern die Staatengemeinschaft und den Multilateralismus heraus und machen auch nicht Halt vor dem UNO-Sicherheitsrat. Der Rat ist ein Spiegelbild der aktuellen, polarisierten weltpolitischen Situation. Deswegen werden wir uns für die Zusammenarbeit zwischen den Ratsmitgliedern einsetzen, damit der Sicherheitsrat auch in diesen schwierigen Zeiten handlungsfähig bleibt. Zusammenarbeit und Dialog sind für unser Engagement deshalb so zentral, weil ein einzelner Akteur die Welt alleine nicht verändern kann.
Die Schweiz will Verantwortung übernehmen und sich über die gesamte geographische und thematische Bandbreite des Sicherheitsrats engagieren. Dabei steht das oberste Ziel der UNO-Charta an vorderster Stelle: Einen Beitrag zu leisten für eine friedliche, sichere und regelbasierte Weltordnung. Dieses Ziel deckt sich mit der Bundesverfassung. Das Völkerrecht, unsere humanitäre Tradition und Rechtsstaatlichkeit bleiben für uns zentral. Darauf basierend werden wir unsere Positionen in den Rat tragen und unserem Motto der Kandidatur «A Plus for Peace» Rechnung tragen.
Was bedeutet der Schweizer Beobachterstatus im UNO-Sicherheitsrat?
Der Beobachterstatus gibt der Schweiz die Möglichkeit vom 1. Oktober bis zu Beginn ihres Einsitzes am 1. Januar 2023 an den Sitzungen des UNO-Sicherheitsrats teilzunehmen – wenn auch ohne Stimmrecht. Für unsere Vorbereitungen ist dieser Status eine grosse Chance. Einerseits können wir uns ein Bild von der tatsächlichen Anzahl, der Dauer und der Intensität der Sitzungen des Rats machen; andererseits können wir die Dynamiken zwischen den Ratsmitgliedern beobachten und unsere Arbeitsweise darauf einstellen.
In drei Monaten gilt es ernst. Wie bereitet sich das EDA auf den Einsitz ab dem ersten Januar 2023 vor?
Die Vorbereitungen für den Einsitz im Sicherheitsrat laufen schon seit mehreren Jahren – eigentlich bereits seit 2011, als der Bundesrat die Kandidatur der Schweiz für den UNO-Sicherheitsrat beschlossen hat. Die Vorbereitungen während der Kandidatur, bei denen auch regelmässig das Parlament miteinbezogen wurde, zahlten sich aus. Das Resultat der Wahl der Schweiz in den Rat lässt sich sehen: Seit dem UNO-Beitritt der Schweiz 2002 wurde noch kein Land der regionalen Gruppe der westeuropäischen und anderen Länder mit einem besseren Ergebnis gewählt.
Die Koordinations- und Entscheidprozesse innerhalb der Bundesverwaltung hat der Bundesrat Ende 2021 definiert. Sie basieren auf eingespielten Strukturen, die in anderen UNO-Gremien wie dem Menschenrechtsrat schon seit Jahren zur alltäglichen Arbeit gehören. Ebenfalls legte der Bundesrat im Austausch mit dem Parlament fest, wie dieses auch während dem Einsitz weiterhin einbezogen wird. Jetzt befinden wir uns in der Schlussphase der Vorbereitungen. Wir werden die Prozesse im Rahmen des Beobachterstatus überprüfen und justieren, damit die Schweiz für die erste Sicherheitsratssitzung im Januar 2023 optimal vorbereitet ist.
Sie haben die Abteilung UNO diesen Sommer in einer Zeit der Krisen übernommen. Wie erleben Sie diese Zeit – auch im Zusammenhang mit dem UNO-Sicherheitsrat?
Der Ukrainekrieg in unserer unmittelbaren europäischen Nachbarschaft und das Leid, das er hervorruft, haben mich zum Zeitpunkt meiner Amtsübernahme tief betroffen. Aber auch jenseits von Europa konnten wir in den letzten Jahren verfolgen, wie autokratische Tendenzen und Kriege in vielen Weltregionen stetig zugenommen haben. Die Schweiz als global vernetztes Land hatte immer schon ein eminentes Interesse an Stabilität, Sicherheit, Frieden und dem Vorrang des Rechts vor der Macht des Stärkeren. Dass wir diese Interessen ab nächstem Jahr in den UNO-Sicherheitsrat einbringen können, erachte ich als einmalige Chance.
Meine diplomatischen Partnerinnen und Partnern anderer Länder heben hervor, dass die Schweiz aufgrund ihrer geschichtlichen Erfahrungen, politischen Kultur und humanitären Tradition für eine Rolle im Sicherheitsrat prädistiniert sei. Dem stimme ich gerne zu. Aber ich habe mein neues Amt vor allem auch in der Überzeugung angetreten, dass die Schweiz über ein Profil, Instrumente und Erfahrungsschätze verfügt, mit denen wir uns wirkungsvoll in dieses zentrale UNO-Organ einbringen und konkret zu Friedenslösungen beitragen können. Es ist diese Perspektive, die mein Team und mich jeden Tag von neuem motiviert.
Prioritäten der Schweiz im UNO-Sicherheitsrat
Am 31. August hat der Bundesrat die Schweizer Prioritäten für den Einsitz im UNO-Sicherheitsrat definitiv verabschiedet. Sie lauten wie folgt:
- Nachhaltigen Frieden fördern
- Zivilbevölkerung schützen
- Effizienz stärken
- Klimasicherheit angehen
Die Prioritäten leiten sich aus der Aussenpolitischen Strategie der Schweiz und ihrer humanitären Tradition ab. Mit diesen Prioritäten kann die Schweiz einen Beitrag zu einer friedlicheren und stabileren Welt leisten – das oberste Ziel, das in der UNO-Charta und der Schweizer Bundesverfassung verankert ist.