Die Kohärenz zu stärken, heisst die Aussenpolitik zu stärken

Heute gibt es kaum ein innenpolitisches Themenfeld, das nicht auch eine starke internationale Dimension hat. In einer Welt, in der sich die Ungleichgewichte verschärfen, muss sich die Schweiz klar positionieren, um ihre Interessen und Werte verteidigen zu können. Mit der Aussenpolitischen Strategie 2020–2023, die der Bundesrat am 29. Januar 2020 verabschiedete, verfügt die Schweiz über ein wirksames Steuerungsinstrument. Ein Gespräch mit Krystyna Marty, Staatssekretärin a.i., die bei der Umsetzung der Strategie eine zentrale Rolle spielt.

18.02.2020
Krystyna Marty, EDA-Staatssekretärin a.i., steht bei einer Rede vor dem Mikrofon.

Krystyna Marty, EDA-Staatssekretärin a.i. © EDA

Schwerpunkte und Ziele setzen

Frau Staatssekretärin, eine Einstiegsfrage: Wieso braucht es überhaupt eine aussenpolitische Strategie?

Eine aussenpolitische Strategie ist wichtig, da sie uns hilft, uns in einem komplex gewordenen internationalen Umfeld besser orientieren zu können und bewusst Schwerpunkte und Ziele zu setzen. Sie ist eine wichtige Grundvoraussetzung für eine kohärente Aussenpolitik. Die Kohärenz zu stärken, heisst die Aussenpolitik zu stärken.

Das Dokument ist keine EDA-Strategie, sondern die Strategie des Gesamtbundesrates.

Der Bundesrat beauftragte deshalb das EDA bereits im Jahr 2011, jährlich einen aussenpolitischen Bericht zu verfassen, der Rechenschaft über das vergangene Jahr ablegt, sowie alle vier Jahre eine solche aussenpolitische Strategie. Dies bedeutet, dass für jede neue Legislaturperiode auch eine neue aussenpolitische Strategie vorliegt. Es handelt sich um die dritte Strategie. Das Dokument ist keine EDA-Strategie, sondern die Strategie des Gesamtbundesrates. Auf die Strategie folgen nun weitere thematische sowie regionale Strategien wie beispielsweise die IZA-Strategie oder die zur MENA-Region, Afrika und China.

Sie erwähnen, dass die Strategie keine EDA-Strategie ist und dass die Kohärenz im Vordergrund steht. Was heisst dies genau?

Dem Departementschef war es ein grosses Anliegen, dass die neue aussenpolitische Strategie breit abgestützt und innerhalb der Bundesverwaltung weit bekannt ist. Die Strategie soll deshalb nicht nur «klassische» EDA-Themen aufnehmen, wie etwa die Guten Dienste, die Friedensförderung oder die UNO, sondern die Gesamtheit der Aussenpolitik in ihrer ganzen Breite aufzeigen: von der Aussenwirtschaftspolitik, zur Gesundheit, Kultur bis hin zur Wissenschaftsdiplomatie. Um dies umfassend abbilden zu können und die Schwerpunkte aller Departemente zu integrieren, haben wir einen interdepartementalen Prozess lanciert, der sich über ein Jahr erstreckte und alle Bundesstellen miteinbezog.

Die Strategie soll die Gesamtheit der Aussenpolitik in ihrer ganzen Breite aufzeigen: von der Aussenwirtschaftspolitik, zur Gesundheit, Kultur bis hin zur Wissenschaftsdiplomatie.

Dieser Prozess wurde von meiner Vorgängerin, der damaligen Staatssekretärin Pascale Baeriswyl, geführt. Ihr gebührt an dieser Stelle auch unser grosser Dank für die heute vorliegende, breit abgestützte Strategie.

War solch ein interdepartementaler Prozess wirklich neu?

In dieser Form, ja. Die Vorgängerstrategien, die aussenpolitischen Strategien 2012-2015 sowie 2016-2019, wurden jeweils zum Schluss auch vom Gesamtbundesrat verabschiedet. Dass die aktuelle Strategie aber in solch einem strukturierten und inklusiven Prozess erarbeitet wurde, das ist effektiv neu.

Konnten Sie auch Stimmen von Aussenstehenden miteinbeziehen?

Zu einem gewissen Grad ja, auch wenn es sich primär um die Strategie des Bundesrates handelt. Beispielsweise haben wir uns mit der Schweizerischen Gesellschaft für Aussenpolitik (SGA), foraus oder dem Staatslabor ausgetauscht. Auch unser Projekt «Meet the Ambassadors», das im Sommer 2019 zum ersten Mal durchgeführt wurde, hat die Strategieerarbeitung sicherlich mitgeprägt. Neben der eher umfangreichen aussenpolitischen Strategie hat das EDA auch eine Kurzbroschüre erstellt, die die wichtigsten Punkte der Strategie zusammenfasst. Auch dies geschah mit der Idee, den innenpolitischen Dialog zu fördern.

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Erkenntnisse aus der Strategie?

Wichtig sind meines Erachtens die vier thematischen Schwerpunkte: Frieden und Sicherheit, Wohlstand, Nachhaltigkeit und neu die Digitalisierung.
Beim Schwerpunkt Frieden und Sicherheit stehen die Kandidatur für und der Einsitz im UNO-Sicherheitsrat im Vordergrund wie auch die Guten Dienste. Beim Wohlstandskapitel haben wir einen umfassenden Ansatz gewählt, der von der Bekämpfung extremer Armut, über die Bildung bis hin zur Finanzmarktstabilität reicht.

Wichtig sind die vier thematischen Schwerpunkte: Frieden und Sicherheit, Wohlstand, Nachhaltigkeit und neu die Digitalisierung.

Beim Thema Nachhaltigkeit stehen die Agenda 2030 im Vordergrund sowie verstärkter Klima- und Umweltschutz. Bei der Digitalisierung – ein neues Themenfeld für die Aussenpolitik – steht die digitale Gouvernanz im Fokus, das heisst das Festlegen der internationalen Spielregeln. Zudem wollen wir auch im Cyber-Raum unsere Interessen und Werte bestmöglich wahren und Genf als globalen Hub für die Digitalaussenpolitik positionieren. Wichtig sind letztlich die klaren Ziele für alle Weltregionen und die acht globalen Schwerpunktländer, die verstärkte Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Staaten sowie das Bekenntnis zu einem starken Aussennetz.

Weshalb ist ein starkes Aussennetz so wichtig? Genügen heute Telefon, Mail und Videotelefonie nicht für die Regierungskontakte?

Die Schweiz leistet sich eine unabhängige Aussenpolitik. Wir können und wollen uns nicht auf Allianzen oder Staatengruppen verlassen, die unsere Interessen vertreten. Es stimmt, wir besitzen im internationalen Vergleich ein gut aufgestelltes Aussennetz und das hat seinen Preis. Es lohnt sich aber: Fast überall auf der Welt finden unsere Regierungsvertreterinnen, die Spitzenbeamten, aber auch unsere Unternehmungen, die Kunstschaffenden, die Touristen oder unsere Wissenschaftlerinnen verlässliche und gut vernetzte Partner vor Ort. Gute Kontakte bedürfen intensiver Pflege und auch einer Präsenz vor Ort. Das ist zwischen Staaten nicht anders als auch im Privatleben. Moderne Kommunikationsmittel alleine genügen da nicht.

«Es gibt nur eine Schweiz im Ausland» hat Bundesrat Cassis bereits an mehreren Orten gesagt. Was will die Strategie hier beitragen?

Unsere Aussenvertretungen sollen gemäss Strategie künftig noch mehr als Plattformen dienen im Sinne des «One-Switzerland-Approach». Unsere Botschafterinnen und Botschafter fungieren als höchste Vertreterinnen und Vertreter der Schweiz in einem Land. Sie sind darauf bedacht, die Vielfalt der Schweiz aufzuzeigen und einen direkten Mehrwert für die einzelnen Schweizer Akteure zu schaffen. Für einen kohärenten Auftritt im und gegenüber dem Ausland bedarf es aber auch einiger Koordination im Inland. Dies ist eine Daueraufgabe für das EDA, denn die Aussenpolitik wird wichtiger und anspruchsvoller in einer globalisierten Welt. Dies bereichert zweifelsohne unsere Arbeit und macht auch Freude.

Die Aussenpolitische Strategie 2020–2023 ist die dritte dieser Art.

Im Jahr 2011 beauftragte der Bundesrat das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), alle vier Jahre ein solches Dokument auszuarbeiten.

Seither legt das EDA zu Beginn jeder neuen Legislaturperiode eine aussenpolitische Strategie vor, die die Schwerpunkte für die nächsten vier Jahre festlegt. Die soeben vom Bundesrat verabschiedete Strategie wurde zum ersten Mal in einem interdepartementalen Prozess erarbeitet.

Die Aussenpolitische Strategie 2020–2023 setzt die Vorgaben der Legislaturplanung des Bundesrates in einen aussenpolitischen Handlungsrahmen um. Sie stützt sich dabei auf die Verfassung und baut auf Konstanz, Vertrauen und Tradition. Im Vergleich zur bisherigen Strategie setzt sie neue Akzente und bietet neue Instrumente. Die aussenpolitischen Berichte ziehen Bilanz über die zwei letzten aussenpolitischen Strategien (2012–2015, 2016–2019).

Die vier thematischen Schwerpunkte der Aussenpolitischen Strategie 2020–2023 (Frieden und Sicherheit, Wohlstand, Nachhaltigkeit, Digitalisierung) und die daraus abgeleiteten Ziele werden in allen Regionen der Welt sowie auf multilateraler Ebene umgesetzt.

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