Zweiter Schweizer Beitrag: Worum geht es und wer sind die Akteure?

Am 31. August 2022 hat der Bundesrat die bilateralen Umsetzungsabkommen für den zweiten Schweizer Beitrag an ausgewählte Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) genehmigt. Der Beitrag der Schweiz ist eine Investition in die Stabilität, die Sicherheit und den Wohlstand in Europa. Er ist gleichzeitig ein weiterer Schritt auf dem bilateralen Weg. Über diese Zusammenarbeit sprachen wir mit Debora Kern (DEZA) und Daniel Birchmeier (SECO). Beide arbeiten auch an den Programmen, die der Beitrag vor Ort ermöglicht.

31.08.2022
Debora Kern und Daniel Birchmeier sitzen an einem Tisch und diskutieren angeregt. Vor ihnen liegen Dokumente.

Debora Kern und Daniel Birchmeier während des Gesprächs. Der Schweizer Beitrag an ausgewählte EU-Staaten ist ein gutes Beispiel für die departementsübergreifende Zusammenarbeit: das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) sind für die Umsetzung des Schweizer Beitrags im Bereich der Kohäsion zuständig. © EDA

Der zweite Schweizer Beitrag sieht eine Investition von 1302 Millionen Franken über einen Zeitraum von zehn Jahren für jene Staaten vor, die der Europäischen Union nach 2004 beigetreten sind (EU-13) oder unter Migrationsdruck stehen (in einer ersten Phase wird insbesondere mit Griechenland, Zypern und Italien zusammengearbeitet). Die Mittel fliessen in konkrete Projekte und Programme, die in den Partnerländern im Einklang mit deren nationalen Strategien ausgewählt werden und zwei Ziele verfolgen: «Mit dem zweiten Beitrag setzt sich die Schweiz für eine Verringerung von wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten in Europa ein und sie unterstützt Länder, die starkem Migrationsdruck ausgesetzt sind», sagt Debora Kern, Chefin der Abteilung EU-Mitgliedstaaten bei der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA).

Die Projekte, die den Migrationsdruck verringern sollen, werden durch den Rahmenkredit Migration finanziert, Projekte zur Verringerung der Ungleichheiten in Europa durch den Rahmenkredit Kohäsion. Schwerpunkte bei der Kohäsion sind unter anderem die Forschung, Umweltprogramme und Berufsbildung. «Wir leisten damit einen wichtigen Beitrag an die Stabilität Europas», sagt Debora Kern. Und: «Die Schweiz kann dabei auch ihre Expertise in verschiedenen Themengebieten aufzeigen.» «Gleichzeitig ist der Beitrag ein europapolitisches und ein bilaterales Instrument», betont Daniel Birchmeier, der beim Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) das Ressort Schweizer Beitrag an die EU-Mitgliedstaaten/Kohäsion leitet. Die Schweiz könne damit die bilateralen Beziehungen mit den Partnerstaaten stärken und sie zeige damit auch, dass sie eine verlässliche Partnerin der EU ist.

Ein Balkendiagramm zeigt auf der x-Achse die Empfängerländer des zweiten Schweizer Beitrags und auf der y-Achse den jeweiligen Betrag in Franken.
Aufschlüsselung des zweiten Schweizer Beitrags an ausgewählte EU-Mitgliedstaaten im Bereich der Kohäsion, nach Ländern, in Millionen Franken. © EDA
Ein Kreisdiagramm ist in 3 Teile unterteilt. Der grösste Teil entfällt auf bilaterale Migrationsabkommen.
Aufschlüsselung des zweiten Schweizer Beitrags an ausgewählte EU-Mitgliedstaaten im Bereich Migration, pro Programm, in Millionen Franken. © EDA

Bei der Verteilung des Rahmenkredits Kohäsion auf die 13 Partnerstaaten berücksichtigt die Schweiz unter anderem das Bruttoinlandprodukt (BIP) pro Kopf und die Bevölkerungszahl. «Somit wird den Bedürfnissen der wirtschaftlich schwächeren EU-Mitgliedstaaten etwas stärker Rechnung getragen», erklärt Daniel Birchmeier.

Der zweite Schweizer Beitrag an ausgewählte EU-Staaten auf einen Blick

Die wichtigsten Fragen und Antworten

Teamarbeit

«Das Staatssekretariat für Migration (SEM) ist für den Rahmenkredit Migration verantwortlich, die DEZA und das SECO zu gleichen Teilen für den Rahmenkredit Kohäsion», präzisiert Daniel Birchmeier. Im Bereich Kohäsion haben das SECO und die DEZA die Federführung für die 13 Länder aufgeteilt, zudem sind auch die thematischen Zuständigkeiten klar geregelt. «Wir arbeiten sehr eng und sehr gut zusammen. Wo immer sinnvoll, haben wir die Prozesse und Systeme harmonisiert», sagt Daniel Birchmeier. «Auf strategischer und operationeller Ebene gibt es seit Langem gut etablierte Koordinationsorgane.»

Wann gibt es die ersten Projekte?

Porträtfoto von Daniel Birchmeier.
Daniel Birchmeier arbeitet seit 20 Jahren im SECO in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung (SECO-WE). Seit 2020 leitet er das Ressort WEKO. Er ist Mitglied der WE-Bereichsleitung. © EDA

Daniel Birchmeier erläutert die nächsten Schritte beim Schweizer Beitrag. «Wir gehen davon aus, dass wir bereits 2023 mit der Umsetzung der ersten Projekte beginnen können. Die Partnerländer erarbeiten basierend auf den bilateralen Umsetzungsabkommen konkrete Programmvorschläge.» Die Vorschläge werden in einem zweistufigen Verfahren von der Schweiz geprüft und genehmigt. «Das braucht zwar etwas Zeit, stellt aber sicher, dass qualitativ hochstehende Projekte realisiert werden können», so Birchmeier. 

Gemeinsame Ziele und Prioritäten

Gerade die Verhandlungen im engen Kontakt mit den Partnerstaaten führen zum Erfolg der jeweiligen Programme mit gemeinsamen Zielen und Prioritäten. Debora Kern erklärt, dass «die Auswahl der Themen und Programme das Resultat von Verhandlungen ist». Die Schweiz hat den Partnerländern eine Zusammenarbeit in 13 Themenfeldern angeboten. Die Partnerländer haben die konkreten Kooperationsbereiche nach ihren Bedürfnissen ausgewählt. «Natürlich war dabei der Mehrwert in Bezug auf die Expertise oder den komparativen Vorteil der Schweiz ein wichtiges Kriterium», unterstreicht Debora Kern.

Nicht nur die Schweiz, sondern auch die Partnerländer spielen eine wichtige Rolle. «Die Partnerländer beteiligen sich an allen Programmen, in der Regel auch finanziell: Die Schweiz bezahlt bis zu 85 Prozent eines Programms, 15 Prozent werden vom Partnerland finanziert. Bei Projekten der weniger finanzstarken Zivilgesellschaft machen wir eine Ausnahme und zahlen im Bedarfsfall bis zu 100 Prozent».

Am gleichen Tisch, aber nicht nur

Porträtfoto von Debora Kern.
Debora Kern, Leiterin der Abteilung EU-Mitgliedstaaten in der DEZA, arbeitet seit 2006 in verschiedenen Funktionen im EDA in Bern und in Vertretungen im Ausland. © EDA

Das Bild des grossen Tisches, um den man sich versammelt, um eine gemeinsame Basis zu finden, ist sehr anschaulich. Aber ist das alles? Geht es nur darum, sich mit allen Partnerländern zusammenzusetzen? «Die Schweiz führt mit jedem der dreizehn Partnerländer separate Verhandlungen, entsprechend gibt es Unterschiede im Verhandlungsverlauf und in der Verhandlungsdauer», sagt Daniel Birchmeier. «Seit dem Frühjahr besuchten Debora Kern und ich die meisten Partnerstaaten. Dieser persönliche Kontakt und die Möglichkeit, sich vor Ort über potenzielle Programme zu informieren, beschleunigte den Verhandlungsprozess.» So konnten bis diesen Sommer mit acht Partnerländern die formalen Verhandlungen abgeschlossen werden. Bei den verbleibenden fünf Ländern rechnen SECO und DEZA ebenfalls mit einem raschen Abschluss. 

Zwei Beispiele aus dem Ausland

Der zweite Schweizer Beitrag folgt auf den Erweiterungsbeitrag der Schweiz. Dank Letzterem hat die Schweiz umfangreiche Erfahrungen gesammelt und konnte beispielsweise in Bulgarien und Slowenien einen nachhaltigen Mehrwert schaffen. «Die Schweiz hat Bulgarien mit einem kleinen, aber strategischen Programm in der Berufsbildung unterstützt», berichtet Debora Kern. Es ging um eine Reform des Berufsbildungssystems und um die Einführung des dualen Systems. Bulgarien hat nach Schweizer Vorbild ein neues Gesetz erarbeitet, bei dem Lehrbetriebe und Unternehmen der Branchen in die Schulinhalte einbezogen wurden. So konnten die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes stärker in die Lehre eingebracht werden. «Die Reform geht weiter und ist noch nicht für alle Lehren abgeschlossen, aber ein wichtiger Grundstein wurde damit gelegt», sagt Kern.

Ein Projekt, das Daniel Birchmeier beeindruckte, wurde in Slowenien durchgeführt. «Das SECO unterstützte in Slowenien den Ausbau der erneuerbaren Energien. Dazu gehörte der Bau einer Lärmschutzwand mit Solarzellen entlang eines Teilstücks der Autobahn. Diese Lärmschutzwand ist die längste in Slowenien und produziert Strom für die gesamte lokale öffentliche Beleuchtung. Der Ansatz wird im Land selber weiterverfolgt», sagt Birchmeier, der das Projekt als «kleines Beispiel mit Ausstrahlung ins ganze Land und anhaltender Wirkung» bezeichnet. Interessant sei auch, dass der Bundesrat diesen Sommer vorgeschlagen hat, in der Schweiz ebenfalls Teilstrecken an der Autobahn mit Lärmschutzwänden mit Solarzellen zu bestücken.

Der zweite Schweizer Beitrag ganz konkret

Aus diesen und anderen Erfahrungen konnten wichtige Erkenntnisse gezogen werden, die in die Ausgestaltung des zweiten Schweizer Beitrags eingeflossen sind. «Verschiedene Evaluationen zur Umsetzung des Erweiterungsbeitrags haben bestätigt, dass das Grundkonzept für die Umsetzung funktioniert», erklärt Daniel Birchmeier. «Beim zweiten Beitrag verstärkt die Schweiz jedoch die thematische Konzentration; es werden grössere Projekte unterstützt und damit die Effizienz und die Sichtbarkeit erhöht. Wir haben uns zudem entschieden, in fünf kleineren Ländern nur Programme der DEZA oder des SECO auszuführen. Im Erweiterungsbeitrag war das nur für Malta und Zypern der Fall».

Die DEZA unterstützt Programme in den Bereichen Forschung, Gesundheit, Berufsbildung, Integration, Sicherheit, der Einbindung von Minderheiten, dem Engagement von Bürgerinnen und Bürgern und der Biodiversität. Die Schwerpunkte der SECO-Programme liegen bei der Infrastruktur im Umwelt- und Klimaschutzbereich (Wasser- und Abwasser; Abfallentsorgung; Energieeffizienz und erneuerbare Energien), bei der Städteplanung, bei der Unterstützung von KMU und im Tourismus. «Wir arbeiten direkt mit den Regierungen der Länder zusammen. Ausbildungen werden verbessert, öffentliche Dienstleistungen gestärkt, Infrastruktur im Energie- und Umweltbereich bereitgestellt», sagt Debora Kern. «Ein spezifisches Beispiel ist die palliative Gesundheitsversorgung, also die Betreuung von Menschen mit unheilbaren, lebensbedrohlichen oder chronisch fortschreitenden Krankheiten. Daneben werden auch private Institutionen unterstützt, beispielsweise Forschungsanstalten, KMU und die Zivilgesellschaft.» 

Ein Mann arbeitet an einer Solarzellenkonstruktion.
Estland hat Baustandards für energieeffiziente Gebäude entwickelt. Im Rahmen des Erweiterungsbeitrags wurden in fünf Gemeinden insgesamt drei Kindergärten, zwei Grundschulen und ein Altersheim gebaut oder saniert. Diese dienen nun als Musterbauten für energieeffizientes Bauen im öffentlichen Raum. © SECO, Dimitri Kotjuh

Auf lange Sicht: Ziele der Europapolitik

Mit der Umsetzung des zweiten Beitrags will der Bundesrat der Dynamik im Verhältnis zur EU neuen Schwung verleihen. In diesem Sinne unterstreicht Debora Kern, dass «der zweite Beitrag Teil der Schweizer Europapolitik ist». Die Schweiz unterstreiche damit, dass sie eine solidarische Partnerin ist, die ein Interesse an einem starken Europa hat. «Wir tragen konkret zur Bewältigung der gesamteuropäischen Herausforderungen wie der Migrationsproblematik und der massiven Ungleichheiten zwischen den Ländern bei». Daniel Birchmeier nennt schliesslich die aus technischer Sicht «zwei vielleicht wichtigsten Aspekte» für die Schweiz. «Die Schweiz erhöht ihre Glaubwürdigkeit als aktive und solidarische Akteurin – auch in Brüssel. Und sie stärkt dadurch die bilateralen Beziehungen mit den Partnerländern.»

4 Fragen an Debora Kern

Debora Kern steht und spricht.
Debora Kern erklärt auch, inwieweit der Krieg in der Ukraine die Vorbereitungsarbeiten für den zweiten Beitrag beeinflusst. © EDA

Am 31. August 2022 hat der Bundesrat die bilateralen Umsetzungsabkommen mit acht Partnerländern genehmigt. Warum sind diese bilateralen Verträge noch nötig, wenn die Schweiz und die EU bereits ein Memorandum of Understanding (MoU) dazu unterzeichnet haben?

Das MoU ist eine politische Absichtserklärung, die den Rahmen und den Verteilschlüssel für den zweiten Beitrag definiert. Rechtlich verbindlich sind die bilateralen Umsetzungsabkommen mit den Partnerländern, welche die Zusammenarbeitsprogramme beschreiben und inhaltlich viel mehr ins Detail gehen. Unter anderem werden die Themenschwerpunkte festgelegt und institutionelle Fragen geregelt. Insgesamt reflektieren diese bilateralen Abkommen den eigenständigen Charakter des zweiten Schweizer Beitrages.

Wie stellen Sie sicher, dass die Schweizer Gelder wirksam, d. h. sinnvoll und zielführend eingesetzt werden? Gibt es einen Kontrollmechanismus – auch was die Erreichung der Ziele angeht?

Wir haben in den bilateralen Verträgen mit den Partnerländern Ziele vereinbart. Für die Umsetzung sind sie weitgehend selbstständig verantwortlich. Die Schweiz hat aber Büros vor Ort und steht im täglichen Dialog mit den Partnerländern, um die Umsetzung zu begleiten. Nötigenfalls kann sie auch Korrekturen verlangen. Das heisst: Wir sind sehr nah dran. In den Abkommen und Verträgen sind ausserdem Kontroll- und Sanktionsmechanismen definiert, für den Fall, dass Unregelmässigkeiten festgestellt werden.

Was sind die Möglichkeiten (und Grenzen) der Mitwirkung für Schweizer Universitäten, Unternehmen oder NGOs an den Programmen?

Schweizer Akteure sollen eine möglichst zentrale Rolle spielen. Dies kann in Form von Expertise, Partnerschaften, Austausche oder gemeinsamer Umsetzung erfolgen. Universitäten können sich an den diversen Forschungsprogrammen beteiligen; Wir müssen aber auch festhalten, dass die Programme von den Partnerländern verantwortet werden. Sie sind für öffentliche Ausschreibungen und Vergaben zuständig. Wo hingegen spezifische Expertise aus der Schweiz gefragt ist, ist die Einbindung von hiesigen Akteuren vorgesehen.

Inwieweit beeinflusst der Krieg in der Ukraine die Vorbereitungsarbeiten für den zweiten Beitrag? Müssen deshalb in einzelnen Ländern Themenbereiche gestrichen oder neue ergänzt werden?

Der Krieg hat die Situation in unseren Partnerländern schlagartig verändert. Die Schweiz hat sofort Unterstützung angeboten und auch betont, dass die Kohäsionsprogramme entsprechend angepasst werden können, um mittelfristig ausgerichtete Massnahmen zur Krisenbewältigung und der Integration von Flüchtlingen zu unterstützen. Das Angebot wurde in einigen Ländern gerne angenommen.

Zum Anfang