04.04.2022

Ansprache von Bundespräsident Ignazio Cassis, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten EDA, anlässlich des Empfangs der olympischen und paralympischen Athletinnen und Athleten in Bern - es gilt das gesprochene Wort

Rednerin/Redner: Cassis Ignazio; Departementsvorsteher, Ignazio Cassis

Sehr geehrte Frau Bundesrätin, liebe Viola
Liebe Sportlerinnen und Sportler
Geschätzte Begleitpersonen
Sehr geehrte Gäste

Sport – in «normalen» Zeiten die schönste Nebensache der Welt. Aber Sie wissen es alle, die Zeiten sind derzeit nicht «normal». Weder für Sie als Sportlerinnen und Sportler, noch für uns alle. Das war weder in den letzten zwei Jahren der Pandemie so, noch jetzt. Zum ersten Mal seit nun fast 80 Jahren findet in Europa ein Angriffskrieg statt. Eine traurige, eine tragische Realität. Dürfen wir uns da noch über Medaillen freuen? Wie sehr dürfen wir Konkurrenzkämpfe bejubeln, während andere um ihr Leben fürchten müssen?

1.    Schweizer Erfolg dank gelebter Pluralität

Ich war vor zwei Wochen in Polen und Moldawien, an der Grenze zur Ukraine. Dort habe ich Familien getroffen. Mütter und Kinder suchen Schutz im Ausland. Millionen von Menschen sind auf der Flucht. Ich habe ihnen zugehört, mit iIhnen gesprochen: ihre Erzählungen lassen niemanden kalt – auch mich nicht! Aber ich habe auch gespürt, wie gross ihre Liebe zur Heimat ist. Ihr Stolz, ihre Verbundenheit. Emotionen, die auch der Sport kennt. So bin ich deann heute auch sehr gerne bei Ihnen, werte Damen und Herren. Weil der Sport verbindet. Er lehrt uns die Verbundenheit im Team. Und der Sport macht uns auf unser Land stolz. Das gilt im Frieden – und umso mehr im Krieg.

Der Sport gehört zu unserer kollektiven Identität. Dies gilt besonders für ein Land wie das unsere, das sich durch seine Vielfalt auszeichnet. In der Schweiz gibt es verschiedene Sprachen und Kulturen, unterschiedliche Religionen und mehr als eine Art von Humor. Es spielt keine Rolle, ob die Skifahrerin Italienisch spricht, der Skip des Curlingteams auf Französisch jubelt, die Snowboarderin auf Rumantsch diskutiert oder der Hockeytrainer Schwytzerdüütsch redet. Wir sind ein einziges Team, ein einziges Land: wir sind die Schweiz. Diese Vielfalt liegt mir als Bundespräsident und als Vertreter der italienischen Sprachgemeinschaft sehr am Herzen. Ich freue mich sehr, dass die Schweiz bei den Olympischen und Paralympischen Spielen sechzehn Medaillen gewonnen hat. Noch mehr freue ich mich aber darüber, dass diese Medaillen an Athletinnen und Athleten aller Landesteile gehen.

2.    Engagement über die Landesgrenzen hinweg

Sport fördert den internationalen Austausch. Bei den Olympischen Spielen und den Paralympics sind Sie zwar Konkurrenten, aber Sie trainieren zusammen und haben das gleiche Ziel. Dank dem Sport können Sie diese Emotionen teilen. Sport lehrt uns, Regeln zu beachten und Werte zu respektieren. Man kann nicht immer gewinnen. Weder im Sport noch im Leben. Was wahre Sportlerinnen und Sportler ausmacht, sind nicht die Medaillen, die sie umgehängt haben, sondern ihr vorbildliches Engagement, ihre hartnäckige Arbeit, ihre Bescheidenheit im Erfolg und ihre Grossmut in der Niederlage. Dies sind die Werte, die der Sport vermittelt.

3.    Sport als Licht der Hoffnung in dunklen Zeiten

Liebe Sportlerinnen und Sportler, Sie alle haben meinen grössten Respekt. Meine Anerkennung gilt aber auch all jenen, denen es nicht zu einer Medaille gereicht hat, die sich dennoch wieder aufgerichtet und neu angefangen haben. Das ist für mich Resilienz! Indem Sie sich wieder aufrichten, zeigen Sie uns, dass Aufgeben keine Option ist. Sie zeigen uns, dass es sich lohnt, für seine Ziele zu kämpfen. Sie geben uns Hoffnung. Das ist die wahre Lektion im Leben. Es ist die Lektion, die uns auch die Kriegsflüchtlinge geben: Sie richten sich wieder auf und kämpfen für ihr Land und ihre Werte, die auch die unseren sind.

Sie alle, liebe Sportlerinnen und Sportler, sind eine Inspiration, denn Sport ist mehr als ein Zeitvertreib. Sport bedeutet Arbeit, Ehrgeiz und eine grosse Portion Menschlichkeit. Genau das, was wir brauchen, gerade in diesen «nicht normalen» Zeiten.

Liebe Sportlerinnen und Sportler. Im Namen der Schweiz danke ich Ihnen allen herzlich. Wir durften mit Ihnen mitfiebern, mitfeiern, und ab und an auch mitleiden. Sie stützen den Zusammenhalt unseres Landes, Sie schweissen die Schweiz – gerade in unruhigen Zeiten – zusammen. Ich bin stolz auf Sie! Herzlichen Dank!


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Letzte Aktualisierung 29.01.2022

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