
Der Reichtum der Migration aus der Sicht von fünf Fotografinnen und Fotografen
Artikel, 29.06.2016
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Die DEZA hat deshalb dazu eingeladen, die Aspekte der Migration mit einem Bild zu zeigen. Mehr als 250 Personen aus allen Teilen der Welt haben am internationalen Fotowettbewerb «The Other Side of Migration/Die andere Seite der Migration» teilgenommen. Die Gewinnerinnen und Gewinner erzählen die Lebensgeschichten, die sich hinter ihren Fotos verbergen.

Angesichts der Fülle an schlechten Nachrichten über die Migration geht zu oft vergessen, dass diese auch zahlreiche positive Aspekte hat. Für Millionen von Menschen in der ganzen Welt ist die Migration ein Engagement für eine bessere Zukunft, verbunden mit Hoffnungund Kreativität..Für die Aufnahmeländer ist sie eine Quelle von Energie und wirtschaftlicher Dynamik.
Das Globalprogramm Migration und Entwicklung (GPME) der DEZA führte von März bis Mai 2016 den internationalen Fotowettbewerb The Other Side of Migration durch, um entsprechende Erfahrungsberichte zusammenzutragen. Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus aller Welt haben rund 300 Fotos eingereicht, die Menschenschicksale zeigen, die durch die Migration positiv verändert wurden.
Die Migration, ein starker Entwicklungsmotor
Die Fotografinnen und Fotografen der fünf Gewinnerfotos waren von den Geschichten der Männer, Frauen und Kinder, die sie fotografiert haben, sehr berührt. Der Entscheid, die Heimat zu verlassen, wird individuell getroffen, begleitet vom starken Willen, die Armut und die Gefahr hinter sich zu lassen und sich ein besseres Leben aufzubauen. Anschliessend folgen eine lange Reise, die Integration im Aufnahmeland und der Beginn eines neuen, verheissungsvollen Lebens, das ermöglicht, dem Aufnahmeland etwas zurückzugeben. Die Migrantinnen und Migranten leisten somit einen Beitrag zum Wohlstand, Fortschritt und zur Entwicklung sowohl ihres Ursprungs- als auch ihres Ziellands. Alle Fotografinnen und Fotografen haben ihre Bewunderung für den Mut dieser Personen zum Ausdruck gebracht.
Die Siegerinnen und Sieger erzählen die Geschichten zu ihren Fotos

«Pagi all-refugee football team»
Aufgenommen im November 2015 in Sassari (Sardinien), Italien. Von Alice Sassu, 36 Jahre, Italien.
Können Sie uns die Geschichte Ihres Gewinnerfotos erzählen?
Wenn Flüchtlinge aus Subsahara-Afrika nach Sardinen, einer der ärmsten Regionen Italiens, kommen, sehen sie sich mit einer langwierigen Einwanderungsbürokratie und einem ausgetrockneten Arbeitsmarkt konfrontiert. Deshalb fand die Lokalbevölkerung einen anderen Weg, um die Flüchtlinge in ihre Gemeinschaft zu integrieren: Sie gründete das Fussballteam «ASD Pagi». Zum ersten Mal in der italienischen Geschichte erhielt ein Einwanderungszentrum vom italienischen Fussballverband die Genehmigung, mit einem Team, das ausschliesslich aus Asylsuchenden besteht, in der regionalen Fussballliga teilzunehmen.
Warum haben Sie gerade dieses Foto ausgewählt?
Dieses Foto erzählt die Geschichte des neunzehnjährigen Nigerianers Mujeeb Adebisi. Mujeeb spielt neu im Team «ASD Pagi». Auf seiner Flucht in Richtung Norden gelangte er über Nigeria nach Libyen, wo er entführt wurde und zwei Monate in einem kleinen Zimmer mit vielen anderen Flüchtlingen leben musste. Der Blick von Mujeeb auf diesem Foto zeigt, dass er nach einer Flucht voller Tragik und Hoffnung angekommen ist. Für mich stellt dieses Foto eine Hand dar, die sich anderen entgegenstreckt.
Welche positive Botschaft der Migration wollten Sie mit Ihrem Gewinnerfoto kommunizieren?
Dieses Foto ist Teil eines Videos und eines Fotoprojekts, das sich über zwei Monate hinzog. In dieser Zeit hatte ich Gelegenheit, die Personen, die das Einwanderungszentrum leiten, und dreihundert junge Männer aus verschiedenen Ländern Subsahara-Afrikas kennenzulernen. Ich lernte, dass Gastfreundschaft darin besteht, das richtige Umfeld für die soziale und menschliche Integration zu schaffen. Ich lernte, dass Sport eine spielerische Möglichkeit sein kann, um die Integration zu erleichtern. Ich lernte von diesen jungen Männern, dass Immigration den kulturellen Austausch fördert, der für eine menschenwürdige Zukunft, die auf gegenseitiger Solidarität basiert, nötig ist.

«Prendre soin»
Aufgenommen im Februar 2016 im Altersheim St-Joseph in Siders, Schweiz. Von François Lepage, 46 Jahre, Frankreich.
Können Sie uns die Geschichte Ihres Gewinnerfotos erzählen?
Dieses Foto wurde im Rahmen einer Reportage über das Rote Kreuz Wallis aufgenommen. Das Schweizerische Rote Kreuz, das dieses Jahr sein 150-jähriges Bestehen feiert, führt zugunsten von benachteiligten Personen aus der Schweiz und dem Ausland zahlreiche Aktionen durch. Die auf dem Foto zu sehende Samrawit, die aus Eritrea geflüchtet ist, wurde nach ihrer Ankunft in der Schweiz vom Schweizerischen Roten Kreuz betreut. Sie konnte eine Ausbildung als Pflegehelferin absolvieren. Danach fand sie eine Stelle im Altersheim St-Joseph in Siders, wo sie sich um alte Menschen kümmert.
Warum haben Sie gerade dieses Foto ausgewählt?
Die Geschichte dieser jungen Frau hat mich berührt. Zum einen ihr Leben und ihr Mut, ihre Heimat zu verlassen, weil sie sonst zum Militärdienst eingezogen worden wäre. Zum anderen der lange Weg, bis sie schliesslich in der Schweiz eine Beschäftigung fand. Ich habe dieses Foto gewählt, weil es die Sanftheit von Samrawits Persönlichkeit und ihrer Bewegungen, ihre würdevolle Erscheinung und ihr feinfühliger Umgang mit den Personen, die ihr anvertraut sind, zum Ausdruck bringt.
Neben der persönlichen Geschichte dieser eritreischen Flüchtlingsfrau ist mir auch das Zeichen, das sie setzt, wichtig. Samrawit hat ihre eigene Art gefunden, um der Gemeinschaft, die sie aufgenommen hat, etwas zurückzugeben. Sie verkörpert genau diese andere, weitgehend unbekannte Seite der Migration. Migration ist eine Bereicherung für das Aufnahmeland und trägt zum Aufbau einer solidarischeren und menschlicheren Gesellschaft bei.
Welche positive Botschaft über die Migration möchten Sie mit Ihrem Foto vermitteln?
Das Licht in diesem Gesicht und die Botschaft, die diese Frau vermittelt, stehen eindeutig für Freude und Positivität. Das ist es, was unsere Welt unbedingt braucht!

«Making the mother city home»
Aufgenommen im August 2014 in Gugulethu, Vorort von Kapstadt, Südafrika. Von Lisa Burnell, Kapstadt, Südafrika.
Können Sie uns die Geschichte Ihres Gewinnerfotos erzählen?
Nach dem Abschluss seiner Ballettausbildung in Grossbritannien mit achtzehn Jahren und acht Jahren Tätigkeit als Tänzer in Deutschland kam Andrew Warth, der heute Direktor der Zama Dance School von Gugulethu in Südafrika ist, nach Kapstadt, um in einer Produktion von Carmen zu tanzen. Er war von der kosmopolitischen Atmosphäre der Stadt angetan. Vierundzwanzig Jahre später ist er immer noch da und bringt den Kindern der Township das Tanzen bei.
In der Zama Dance School erhalten rund 128 Schülerinnen und Schüler, mehrheitlich unter zwölf Jahren, Unterricht in klassischem Ballett und sowie Verpflegung. Zahlreiche von Andrews Schülerinnen und Schülern sind tagtäglich mit Bandengewalt konfrontiert, und viele kommen in die Tanzstunde, um die Kämpfe umgehen zu können.
Rund um das Thema «Die vielen Gesichter von Kapstadt» begannen wir, uns mit den vielen nationalen, ethnischen und kulturellen Einflüssen, die Kapstadt ausmachen, zu befassen und die unterschiedlichen Menschen unserer Stadt zusammenzubringen und ihre Vielfalt zu feiern. Vor diesem Hintergrund machten wir uns auf die Suche nach internationalen «Akteuren des Wandels», die beschlossen haben, Kapstadt zu ihrer Heimat zu machen.
Warum haben Sie gerade dieses Foto ausgewählt?
Ich liebe dieses Bild aus vielen anderen Gründen mehr als nur des Bildes wegen. Ich liebe es für die Gefühle, die ich hatte, als ich die ästhetischen Bewegungen dieser Kinder sah, Kinder die sich in einem bisweilen ausgesprochen gewalttätigen Umfeld mit so viel Eleganz und Leichtigkeit bewegen. Andrew Warth verwendet Ballett, um diesen Kindern eine Chance und Hoffnung zu geben, und der eigentliche Zauber entsteht irgendwo in der Mitte, wo ihre Anmut und ihre Kraft ineinander übergehen.
Welche positive Botschaft der Migration wollten Sie mit Ihrem Gewinnerfoto kommunizieren?
In einem Land, dessen Vergangenheit von Gewalt und Missbrauch geprägt ist und in dem Fremdenfeindlichkeit immer noch allgegenwärtig ist, erzählt dieses Bild, wie über Nationalitäten und Kulturen, über Rassen und Geschlechter und über Alter und Fähigkeiten hinweg Einheit entstehen kann, wenn Einigkeit in der Absicht besteht. Dieses Foto und die Tanzschule erinnern ständig daran, dass Migration auch positive Auswirkungen haben kann und dass das vereinte Südafrika, das wir uns alle für die Zukunft wünschen, bereits begonnen hat.

Foto ohne Titel
Aufgenommen im März 2015 in Taras, Kasachstan. Von Vladimir Tretyakov, 36 Jahre, Almaty, Kasachstan.
Können Sie uns die Geschichte Ihres Gewinnerfotos erzählen?
Mein Foto hat keinen Titel. Bei meiner Arbeit handelt es sich um einen Foto-Essay, der zum Ziel hat, die Arbeit von zwei amerikanischen Frauen zu zeigen, die vor fünfzehn Jahren nach Kasachstan kamen und ein Krisenzentrum für Waisenkinder und ledige Mütter aufbauten. Elizabeth Turnock und Victoria Charbone verzichteten auf Wohlstand und Wohlbefinden in den USA, um sich einer grossen Aufgabe anzunehmen. Sie wollten Kindern in einem unbekannten und weit entfernten Land helfen. Ich hörte per Zufall von ihnen. Ihre Geschichte steht im Zentrum meiner fotografischen Arbeit.
Warum haben Sie gerade dieses Foto ausgewählt?
Auf dem Gewinnerfoto sind Vera und ihr Kind zu sehen. Zuerst wollte die Frau ihr Kind zur Adoption freigeben. Aber Elizabeth und Victoria überzeugten sie, ihr Kind zu behalten. Beide leben nun im Krisenzentrum in Taras. Dank den beiden amerikanischen Frauen, die nach Kasachstan auswanderten und dieses Zentrum aufbauten, haben Vera und ihr Kind eine Unterkunft.
Welche positive Botschaft der Migration wollten Sie mit Ihrem Gewinnerfoto kommunizieren?
Migration bedeutet nicht immer, vom Krieg und den Problemen wegzulaufen. Manchmal ist sie auch eine Möglichkeit, um einen Traum zu verwirklichen und eine bessere Welt aufzubauen. Migrantinnen und Migranten bringen einen Teil ihrer Kultur mit in ihr Aufnahmeland und bereichern damit die Lokalbevölkerung.

«Erste Stricklektion»
Aufgenommen im Juli 2015 in einem Sommerlager für Flüchtlinge in der Schweiz. Von Ursula Markus, Schweiz.
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«Pagi all-refugee football team». Aufgenommen im November 2015 in Sassari (Sardinien), Italien. Von Alice Sassu, 36 Jahre, Italien. © Alice Sassu
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«Prendre soin». Aufgenommen im Februar 2016 im Altersheim St-Joseph in Siders, Schweiz. Von François Lepage, 46 Jahre, Frankreich. © François Lepage
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«Making the mother city home». Aufgenommen im August 2014 in Gugulethu, einem Vorort von Kapstadt, Südafrika.Von Lisa Burnell, Kapstadt, Südafrika. © Lisa Burnell
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Foto ohne Titel. Aufgenommen im März 2015 in Taras, Kasachstan. Von Vladimir Tretyakov, 36 Jahre, Almaty, Kasachstan. © Vladimir Tretyakov
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«Erste Stricklektion». Aufgenommen im Juli 2015 in einem Sommerlager für Flüchtlinge in der Schweiz. Von Ursula Markus, Schweiz. © Ursula Markus