Das zweite Vertragspaket, die Bilateralen II, berücksichtigt weitere wirtschaftliche Interessen (Lebensmittelindustrie, Tourismus, Finanzplatz) und erweitert die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und der EU über den bisherigen wirtschaftlichen Rahmen auf neue wichtige politische Bereiche wie innere Sicherheit, Asyl, Umwelt und Kultur.
Bilaterale Abkommen II (2004)
Trotz beidseitiger Absichtserklärungen zu weiteren Verhandlungen in den Schlussakten der Bilateralen I von 1999 stand die Europäische Kommission neuen Verhandlungen zunächst skeptisch gegenüber. Zwei neue wichtige EU-Anliegen an die Schweiz waren schliesslich der Grund dafür, dass sich Brüssel doch zu einer neuen Runde bereit erklärte: Die Schweiz sollte erstens in das von der EU geplante System der grenzüberschreitenden Zinsbesteuerung eingebunden werden. Zweitens wollte Brüssel die Zusammenarbeit mit der Schweiz bei der Betrugsbekämpfung im Bereich der indirekten Steuern (namentlich gegen den Zigarettenschmuggel) intensivieren.
Die Schweiz stimmte Verhandlungen in den genannten Bereichen zu, allerdings unter der Bedingung, dass Verhandlungen nicht nur in den beiden von der EU gewünschten Dossiers geführt werden, sondern weitere, auch für die Schweiz wichtige Bereiche umfassten. Dazu gehörten die Teilnahme an der Sicherheits- und Asyl-Zusammenarbeit von Schengen/Dublin (polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, Asyl und Migration) sowie die Bereiche, welche in der gemeinsamen Absichtserklärung zu den Bilateralen I genannt wurden (landwirtschaftliche Verarbeitungsprodukte, Statistik, Umwelt, MEDIA, Bildung, Ruhegehälter und Dienstleistungen).
Ab Juni 2002 wurde zwischen der Schweiz und der EU in zehn Dossiers verhandelt, den sog. Bilateralen II. Die Verhandlungen in einem der Dossiers, der Dienstleistungsliberalisierung, wurden im März 2003 in gemeinsamem Einverständnis sistiert. Der Grund war die Vielzahl der noch offenen Punkte. Mit der politischen Einigung bei der Zinsbesteuerung im Juni 2003 wurde ein wichtiges Etappenziel erreicht. Am 19. Mai 2004 konnte anlässlich eines Gipfeltreffens Schweiz–EU eine politische Einigung auch für die letzten politisch sensiblen Differenzen gefunden werden – es ging um die Frage des Informationsaustauschs bei Fiskaldelikten im Rahmen von Rechts- und Amtshilfe:
- Bei Schengen/Dublin erhält die Schweiz eine unbefristete Ausnahme («Opt out») für den Fall, dass bei der Weiterentwicklung des Schengen-Acquis auch bei Hinterziehungsdelikten eine Verpflichtung zur Rechtshilfe entstehen würde.
- Bei der Betrugsbekämpfung dehnt die Schweiz die Zusammenarbeit im Bereich der indirekten Steuern auf Fälle von Hinterziehungsdelikten aus (Inländerbehandlung).
Während der ganzen Verhandlungsdauer verfolgte die Schweiz das Prinzip des Parallelismus: Ein Abschluss kam für Bern nur für die Gesamtheit der Verträge in Frage. U. a. dank dieser Verhandlungsstrategie konnte ein ausgewogenes Gesamtergebnis erreicht werden, welches die zentralen schweizerischen Interessen wie auch die Anliegen der EU berücksichtigte. Wie von der Schweiz angestrebt, wurden alle Abkommen, inkl. Schengen/Dublin, gemeinsam abgeschlossen. Umgekehrt kooperiert die Schweiz mit der EU bei der grenzüberschreitenden Zinsbesteuerung und dehnt ihre Zusammenarbeit bei der Betrugsbekämpfung im indirekten Steuerbereich aus.
Am 26. Oktober 2004 wurden die bilateralen Abkommen II unterzeichnet. Am 17. Dezember 2004 genehmigte sie das Schweizer Parlament in Form einzelner Bundesbeschlüsse. Sieben der Abkommen unterlagen dem fakultativen Referendum, welches jedoch nur gegen die Assoziierungsabkommen Schengen/Dublin ergriffen wurde. Das Schweizer Volk nahm die Vorlage am 5. Juni 2005 mit 54,6% Ja-Stimmen an. Im Gegensatz zu den Bilateralen I sind die Bilateralen II nicht rechtlich miteinander verknüpft, sondern können gemäss den jeweiligen Bestimmungen und unabhängig voneinander in Kraft treten. Bis auf das Betrugsbekämpfungsabkommen sind alle in Kraft. Schengen/Dublin sind am 1. März 2008 formell in Kraft getreten. Die operative Beteiligung folgte am 12. Dezember 2008, nachdem im Rahmen einer Evaluation Schengen-Expertenteams überprüft hatten, ob die Schweiz die Schengener Standards einhält (in den Bereichen Aussengrenzschutz, Anschluss an die europaweite Computerfahndungsdatenbank (Schengener Informationssystem SIS), Datenschutz, Visa, Polizeizusammenarbeit). Die Inkraftsetzung wurde am 29. März 2009 abgeschlossen und die Flughäfen konnten das Schengen-Regime zusammen mit dem Fahrplanwechsel einführen.
Bilaterale II (2004)
Diese Abkommen dehnen die Zusammenarbeit mit der EU auf weitere zentrale politische Bereiche aus:
Automatischer Informationsaustausch AIA (ehem. Zinsbesteuerungsabkommen)