Ursula Keller, anlässlich des internationalen Frauentages vom 8. März 2018 moderieren Sie einen Anlass unter dem Titel «Frauen auf der Flucht» (siehe Link am Ende des Beitrags). Mit welchen spezifischen Gefahren und Herausforderungen sind Frauen auf der Flucht konfrontiert?
Wer aufgrund von Krieg, Gewalt, politischer Unterdrückung oder Naturkatastrophen Haus und Heimat verlassen muss, dem wird buchstäblich der Boden unter den Füssen weggezogen – unabhängig vom Geschlecht. Darüber hinaus sind Frauen auf der Flucht aber besonders verletzlich: bezüglich ihrer Sicherheit, bezüglich der Sicherstellung ihrer Grundbedürfnisse und bezüglich der Ökonomie. Frauen werden gerade in Kriegssituationen oft Opfer von sexueller Gewalt. Aber auch die häusliche Gewalt nimmt zu, etwa weil die Männer ihre Rolle als Beschützer und Ernährer der Familie nicht mehr wahrnehmen können und daher frustriert sind. Dazu kommen spezifische Risiken in den Flüchtlingslagern, beispielsweise fehlende Beleuchtung, eingeschränkte Mobilität und die mangelnde Privatsphäre sanitärer Anlagen. In afrikanischen Lagern müssen Frauen und Kinder zudem oft weite Fussmärsche unternehmen, um Feuerholz zu sammeln. Dabei setzen sie sich neuen Gefahren aus.
Sie haben die Grundbedürfnisse erwähnt. Inwiefern sind weibliche Flüchtlinge diesbezüglich diskriminiert?
In einem unsicheren Umfeld ist es für sie noch schwieriger als sonst, den Zugang zu Grundbedürfnissen wie Nahrung, Gesundheit und Bildung sicherzustellen. Oft erhalten beispielsweise Schwangere und Mütter mit Kleinkindern keine ausreichende medizinische Versorgung – daher die hohe Müttersterblichkeit in Flüchtlingssituationen. Auch die Möglichkeit, zur Schule zu gehen ist oft in Frage gestellt. Dies etwa weil die Schulen in den Lagern oder Gastländern keine geschlechtergetrennten Toiletten haben. Daher wollen manche Eltern ihre Töchter ab einem gewissen Alter wegen sozialer Normen oder aus Sicherheitsgründen nicht mehr hinschicken. Das hat gravierende Auswirkungen, wenn man bedenkt, dass die durchschnittliche Dauer einer Flucht 17 Jahre beträgt – beinahe eine Generation!
Und welche Folgen hat die Flucht für Frauen in ökonomischer Hinsicht?
Ganz unterschiedliche. Im Umfeld der Syrien-Krise zum Beispiel beobachten wir eine deutliche Zunahme von Früh- und Zwangsheiraten aus ökonomischen Gründen. Dabei werden junge Mädchen an ältere Männer verheiratet. Dazu kommen Gefahren wie Prostitution und Menschenhandel, denen primär junge Frauen ausgesetzt sind. Oft übernehmen Frauen in Fluchtsituationen auch neue Rollen. Daraus entsteht eine Doppel- und Dreifachbelastung: Wenn die Männer fehlen, müssen die Frauen neben ihren traditionellen Aufgaben wie Kindererziehung und Haushalt auch das Einkommen generieren. Handkehrum kann das aber auch eine Chance für sie sein, ihren Status und ihre Möglichkeiten zu stärken.