Unter dem steten Einfluss des Menschen sind aus Wildpflanzen Kulturpflanzen entstanden. Schätzungen der Weltagrarorganisation FAO gehen von etwa 7000 Nutzpflanzenarten und insgesamt 3.5 Millionen Sorten aus. Die grosse genetische Vielfalt wurde immer wieder herangezogen, um Kulturpflanzen an sich ändernde Bedingungen wie beispielsweise dem Klima oder im Kampf gegen eingeschleppte Krankheiten anzupassen. Agrobiodiversität stellt deshalb eine der wichtigsten Grundlagen der Welternährungssicherheit dar.
Doch genau diese Vielfalt ist heute in Gefahr. Auf wirtschaftliche Effizienz getrimmte Landwirtschaft sowie die globale Verbreitung westlicher Ernährungsweisen tragen dazu bei, dass sich die Ernährung der Menschen auf immer weniger Kulturpflanzen und immer weniger Sorten konzentriert. Heute sorgen rund 25 Kulturpflanzen und wenige Sorten für neunzig Prozent der menschlichen Ernährung. Gleichzeitig bleibt die genetische Vielfalt die entscheidende Grundlage dafür, um zukünftige Herausforderungen in der globalen Ernährungssicherheit zu meistern. Der Klimawandel und die stetig wachsende Weltbevölkerung bei begrenzten Anbauflächen erfordern rasch neue krankheits- und trockenheitsresistente Sorten. Pflanzenzüchter müssen dazu auf eine grosse biologische Vielfalt zurückgreifen können.
Das auf Weizen spezialisierte internationale Agrarforschungszentrum ICARDA mit Sitz in Aleppo in Syrien unterhält eine Sammlung von rund 120‘000 Weizensorten. Sie stellt diese Sorten Pflanzenzüchtern weltweit zur Verfügung, die damit klimaresistente Sorten züchten. Ein Grossteil dieser Sortensammlung ist jüngst in den Kriegswirren zerstört worden. Dank der Absicherung und Einlagerung in Spitzbergen konnte die Sammlung vom unwiderruflichen Verlust bewahrt werden.
Ist auch Saatgut aus der Schweiz eingelagert?
Ja, etwa 3800 der insgesamt etwas mehr als 16‘000 Kulturpflanzensorten, die in der Schweiz aufbewahrt werden, lagert im Saatgutbunker auf Spitzbergen. Die Schweiz besitzt unter anderem die weltweit grösste Dinkelsortensammlung. Für die Schweiz sind vor allem Getreide- und Maissorten von grosser Wichtigkeit.
Welches sind die Herausforderungen bei der Aufbewahrung von Saatgut?
Im Bunker auf Spitzbergen herrschen ideale Bedingungen. Die Saatgutproben lagern in völliger Dunkelheit, vakuumiert bei −18 °C tief im Berg. Sie sind dadurch auch vor natürlicher kosmischer Strahlung geschützt. Sollte einmal das Kühlsystem ausfallen, sorgt der Permafrostboden dafür, dass die Temperatur nicht über −3,5 °C ansteigt. Mit dem Wassereinbruch im Eingangsstollen vor einigen Wochen haben wir allerdings gesehen, dass es keine absolute Sicherheit gibt – der Klimawandel wird uns wohl noch vor grosse Herausforderungen stellen.
Die Haltbarkeit der Samen liegt wissenschaftlichen Schätzungen zufolge bei diesen Temperaturen bei etwa 55 Jahren (Samen der Sonnenblume) bis zu über 10.000 Jahren (Erbsensamen). Die Saatgutproben werden alle paar Jahre - lange bevor die theoretische Keimfähigkeit erlischt - entnommen, reproduziert und wieder eingelagert. Mit diesem System bleibt das pflanzengenetische Erbe der Menschheit über viele Generationen hinweg erhalten.
Weshalb ist denn diese Art von Projekt für die Arbeit der DEZA wichtig?
Obwohl auch Industrieländer wie die Schweiz den Saatgut-Bunker in Spitzbergen nutzen, ist die Bedeutung des Welttreuhandfonds für Kulturpflanzen für Entwicklungsländer ungleich grösser. Es sind vor allem Saatgut-Sammlungen in Entwicklungsländern, die von unwiderruflicher Zerstörung bedroht sind. Sie sind nicht nur wie im Fall von Syrien durch kriegerische Auseinandersetzungen bedroht, sondern auch durch fehlendes Wissen, fehlende Ressourcen und allgemeiner Vernachlässigung. Hier entfaltet der Treuhandfonds einen unschätzbaren Nutzen. Die durch den Fonds geretteten und erhaltenen Saatgut-Sammlungen dienen vielen Agrarforschungsinstituten weltweit als Grundlage für die Züchtung resistenter Sorten, die Millionen von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zugutekommen. Die DEZA leistet mit ihrem Beitrag an den Treuhandfons einen wichtigen Beitrag an die weltweite Ernährungssicherheit.
Kritik am Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt gibt es, weil auch Firmen der Agroindustrie zu den Gebern gehören, denen ja gerade der Vorwurf gemacht wird, sie würden die Pflanzenvielfalt mindern. Wie steht die DEZA dazu?
Wir müssen von klassischem Denken in solchen Kategorien wegkommen. Obwohl Firmen im Saatgutbereich wie andere Firmen auch primär einer wirtschaftlichen Logik folgen und damit möglicherweise zu einer Verkleinerung der genetischen Vielfalt beitragen mögen, hängen auch ihre langfristigen Geschäftsinteressen von einer grossen pflanzengenetischen Vielfalt ab. Sie greifen für ihre Züchtungen immer wieder auf die vorhandene genetische Vielfalt zurück. Die Kritik ist deshalb unbegründet. Im Gegenteil, denn die Firmen profitieren massgeblich von den erbrachten Leistungen des Treuhandfonds. Die Unabhängigkeit des Treuhandfonds ist ausserdem durch ausgereifte Statuten sowie eine breite Trägerschaft mit Beteiligung einer grossen Anzahl Regierungen gewahrt. In Falle dieses Welttreuhandfonds sind aus Sicht der DEZA Beiträge der öffentlichen Hand wie auch Beiträge von privaten Akteuren sinnvoll und nötig, damit das globale öffentliche Gut der pflanzengenetischen Vielfalt zum Nutzen aller und vor allem zugunsten zukünftiger Generationen gesichert werden kann.