Kartoffel, Quinoa, Bohne, Erdnuss, Kürbisgewächse, Paprika, Cherimoya (eine lokale Frucht), Heilpflanzen oder Alpakawolle... Die im bolivianischen Hochland und den Andentälern natürlich vorkommenden Produkte stellen einzigartige Schätze dar. Paradoxerweise leben jedoch 80 Prozent der Familien im Andenraum, in dem jeder zweite Bolivianer ansässig ist, unterhalb der Armutsgrenze.
Ausgehend von positiven Erfahrungen seit den 1990er Jahren, haben die DEZA und das bolivianische Vizeministerium für biologische Vielfalt, Forstwirtschaft und Umwelt gemeinsam ein Aktionsprogramm aufgestellt. Das 2006 lancierte Programm BioCultura ist darauf ausgerichtet,die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung der indigenen und bäuerlichen Gemeinschaften der Anden zu fördern und dabei auch die langfristige Erhaltung der lokalen Ökosysteme zu gewährleisten.
Politik des Indigenismus
Auftrieb erhielt das Programm 2009 durch die Annahme der neuen bolivianischen Verfassung. Das neue Grundgesetz ist Ausdruck des alternativen Entwicklungsansatzes und der Wende zum Indigenismus, die das Land 2005 nach der Wahl von Evo Morales zum Präsidenten vollzog. Evo Morales, der Staatschef indianischer Herkunft, machte von sich reden, indem er die Verstaatlichung der fossilen Brennstoffvorkommen des Landesanordnete und daraufhin das Recht der indigenen Bevölkerung auf die Bewirtschaftung ihrer Naturreichtümer in der neuen Verfassung sowie in einem nationalen Entwicklungsplan niederlegte.
Eine neue Philosophie, das «Vivir bien» (gut leben) – vergleichbar mit dem vom König Bhutans in den 1970er Jahren ersonnenen «Bruttosozialglück» –, bildet nunmehr den Grundpfeiler aller Entwicklungsprojekte in Bolivien. Das «Vivir bien» ist eine Rückbesinnung auf das Gebot, die Natur durch die Integration von Elementen der indigenen Kosmologie zu achten. Der Mensch und der natürliche Lebensraum sind dazu bestimmt, harmonisch und komplementär miteinander zu existieren.
Ermutigende Ergebnisse
Das Programm BioCultura, das vom bolivianischen Vizeministerium für biologische Vielfalt im Pilotversuch erprobt und miteiner Million Franken kofinanziert wird, entspricht dieser Vision voll und ganz. Mehrere Dutzend indigene und bäuerliche Gemeinschaften, die ein Zehntel der Anden-Gemeinden Boliviens stellen, haben bislang das Programm in Anspruch genommen, mit dem vier konkrete Hauptziele verfolgt werden:
- Die biologische Vielfalt erhalten
- Die Produktion steigern und die Ernährungssicherheit der Bevölkerung gewährleisten
- Die lokale Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen verbessern
- Traditionelles Wissen aufwerten
Dank der Partnerschaften zwischen dem Programm, privaten Akteuren und den lokalen Gemeinschaften sind ermutigende Ergebnisse zu verzeichnen:
- 2500 Familien erzielen ein höheres Einkommen.
- Schutz- und Aufforstungsmassnahmen auf 13600 Hektar Land garantieren unter anderem die Erhaltung von gefährdeten Tierarten und 154 Wasserquellen.
- 37 Gemeinden haben konkrete Initiativen zur Verbesserung der Gouvernanz bei der Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen erarbeitet.
- 60 technische Sachverständige und 175 lokale Entscheidungsträger (darunter zahlreiche Frauen) haben Fachkompetenz im Biodiversitätsmanagement erworben.
«Madre Tierra»
2012 wurde die Philosophie des «Vivir Bien» um ein weiteres, gesetzlich verankertes Konzept ergänzt: «Madre Tierra» (Mutter Erde). Im Zusammenspiel beruhen die beiden Grundsätze, die bereits bei mehreren Umweltorganisationen und -konferenzen der UNO für reges Interesse gesorgt haben, auf der vonder DEZA in Bolivien mitgetragenen Überzeugung, dass das Wissen und die zahlreichen überlieferten Praktiken der autochthonen Bevölkerung zur Entwicklung beitragen können. Die indigenen Gemeinschaften sind fähig, Innovationskraft zu zeigen und gleichzeitig ihre Ressourcen im Sinne der Nachhaltigkeit zu schonen.
Häufig sind allerdings die Bedingungen nicht günstig genug für eine Nutzung der geernteten Erzeugnisse, indem beispielsweise die Vertriebswege schwach entwickelt sind oder der Zugang zu Wasserquellen beeinträchtigt ist.
Schliesslich bleiben auch die Anden nicht von verheerenden Folgen des Klimawandels verschont. Infolge der Schwankungen der Temperaturen und der Niederschlagsmenge besteht ein erhöhtes Risiko von Dürren, Überschwemmungen oder Erosion. In einer künftigen Projektphase wird die DEZA ihre Unterstützung auf die Erhaltung mehrerer sensibler Naturräume und den Schutz der betroffenen Bevölkerungsgruppen ausrichten. Bereits jetzt gewährt die DEZA finanzielle und technische Unterstützung für eine neue plurinationale Behörde zur Verteidigung der Mutter Erde, die für Massnahmen zur Vorbereitung auf den Klimawandel und zur Anpassung daran zuständig ist.